Soziabilität und Beziehungsmuster von ADHSlerinnen

Aufruf zur Beiträgen und Erfahrungen

Hier möchte ich nur anteasern, was ich beginne zu beobachten und was ich in jedem Fall weiterverfolgen möchte: Die Beobachtung der unglaublichen Soziabilität von ADHSlerinnen. Und das “innen” hänge ich nicht deswegen daran, weil ich gendergerecht schreiben möchte, sondern weil ich mich hier wirklich auf die weiblichen (und weiblich geschriebenen) ADHSler beziehe. Ob das in gleichem Maße für männliche ADHSler gilt, habe ich noch nicht wahrnehmen können, liegt aber auch an der geringen mir zur Verfügung stehenden Beobachtungen. Das scheint mir aber eher nicht der Fall zu sein. Schreibt mir dazu gern.

Untersuchungsthesen 🙂
Folgende zwei Beobachtungen habe ich bisher gemacht

  1. In Online Veranstaltungen, in denen mehrere ADHSlerinnen teilnehmen, habe ich beobachtet, dass der Chat heiß läuft, wenn den ADHSlerinnen bewusst ist oder im Laufe der Veranstaltung bewusst wird, dass in dem Event von ADHS Betroffene teilnehmen.
    Zwei anekdotische Beispiele: Auf einem Online Event mit etwas über 100 Teilnehmern, an dem ich teilgenommen habe, wurde spontan parallel zu dem in rasender Schnelle sich füllenden Begleitchat spontan von einer Teilnehmerin auch ein Whatsappgruppenchat eröffnet, indem dann auch die Nachrichten heiß liefen und der dann lange über das eigentliche online Ereignis hinaus mit über 60 Chatmitgliedern Bestand hatte. Hauptsächlich Frauen, nur vereinzelt Männer. Erstaunlich, wo es doch nach aktueller Studienlage doch mehr als doppelt soviel Männer mit ADHS geben soll.
    In einem anderen Online Event haben sich die ADHSLerinnen sofort außerhalb des Events vernetzt, als ihnen bewusst wurde, dass es einige von ADHS betroffene Frauen unter ihnen gab und dem sich dann auch zögerlich ein männlicher ADHS-Betroffener angeschloss.
    Ich finde diese Frage enorm wichtig, weil eines der Nebenkriterien für die ADHS-Diagnose im Kindesalter die sozialen Schwierigkeiten sind. Der WURS-k Test, der die Ausprägung im Kindesalter nachträglich testet, zielt mit zwei Fragen darauf ab, ob man als Kind “beliebt” war oder vielmehr angeeckt ist. In meiner Diagnostik fällt mir auf, dass genau dieser Bereich sich mit zunehmenden Alter bei ADHSlerinnen verändert. Grundsätzlich hatten sie oft im Kindesalter sozial viel weniger Schwierigkeiten kein Jungen und als (junge) Erwachsene scheint sich das fast ins Gegenteil verkehrt zu haben.
  2. Einen anderen “Verdacht” hat eine noch weitaus anekdotischere Evidenz: In meiner Praxis und den ADHS (Selbsthilfe-)gruppen, den ich angehöre, beobachte ich eine überproportionale Häufung von weiblich homosexuellen Paaren.
    Bei mir kommen auf fünf Patientinnen eine mit einer lesbischen Beziehung, in einer meiner Selbsthilfegruppe von 12 TN ist es mindestens ein Pärchen. Auch bei den Insta-ADHSlerinnen Accounts scheint es da einige gleichgeschlechtlich orientierte ADHSLerinnen zu geben. Ob dann beide in der Pärchenkonstellation ADHS haben, ergibt sich aus den Accounts leider nicht.
    Da man nach Studien von 1,1 Prozent Frauen1 ausgeht, die sich selbst als lesbisch beschreiben, ist das eine erstaunlich hohe Zufallszahl.
    Eventuell mag es auch damit zusammenhängen, dass Borderlinerinnen nicht selten auch ADHS haben und nicht selten von einer “durch Störungen des Selbstbildes, der Ziele und der inneren Präferenzen gekennzeichnet” sind (Zitat ICD-10). Wobei die lesbischen ADHSlerinnen-Paare, die ich kenne, keine Zweifel an ihrer inneren Präferenz zu haben scheinen und auch nicht von borderline betroffen sind.

Ich würde einer anderen Erklärung den Vorrang geben, denn ich sehe in den beiden Überlegung 1 und 2 eventuell ein Korrelat: Ich beobachte, dass Frauen mit ADHS sich oft sofort auf Anhieb mögen und miteinander in Kontakt kommen oder zumindest eine Affinität zueinander empfinden. Auch Frauen-WGs unter ADHSlerinnen scheinen gut funktionieren. Frauen mit ADHS scheinen überproportional häufig gut zusammenzupassen: als Paar oder als Freundinnen. Der Vergleich zu den männlichen ADHSlern wäre sehr spannend.

Das alles sind reine Vermutungen, es stützt sich auf Beobachtungen, die ich gemacht habe. Darum würde ich mich sehr über Beiträge und eure Erfahrungen freuen. Hinterlasst gern einen Kommentar oder schreibt mir: janna(at)jannalehmann.de.

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1 [ Dazu ein paar Zahlen: Eine Untersuchung der University of Chicago ergab 1994, dass sich 2,8 Prozent der Männer und 1,4 Prozent der Frauen selbst als homosexuell oder bisexuell beschreiben würden. Fast 20 Jahre später kam das Center for Disease Control and Prevention in Amerika im Jahre 2011 durch eine repräsentative Studie auf das folgende Ergebnis: 1,7 Prozent der Männer zwischen 18 und 44 Jahren bezeichneten sich als schwul, während 1,1 Prozent sich selbst als bisexuell sahen. Bei den Fragen waren es zwischen 18 und 44 Jahre 1,1 Prozent, die sich als lesbisch beschrieben und 3,5 Prozent, welche sich als bisexuell sahen.
https://www.wmn.de/insights/wie-viele-menschen-sind-homosexuell-das-sind-die-zahlen-fakten-id419458]

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